
Wie du in x Wochen, Tagen, Stunden mit nur Y Schritten garantiert - und völlig ohne Z – mindestens 0815 erreichen kannst
Langsam fange ich ja an, diese Slogans spannend zu finden. Anpreisungen in denen sich Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, als Spezialisten an mich wenden. Gern per Email oder in sozialen Netzwerken. Und meistens sind wir voraussetzungslos und ganz vertraut per „du“.
Gern gewählt sind auch Schritte: „Wie du in x Schritten Y schaffst“ oder „Mit diesen x Schritten garantiert Y“.

Zahlreiche schnelle, einfache und unglaublich wirkungsvolle Dinge hätte ich schon erreichen können. Und in der Regel war ich nur noch einen einzigen Klick davon entfernt. Manchmal auch zwei, keinesfalls aber weiter als einen Hauch.
Ich war schon so oft nur noch einen Moment davon entfernt:
a) in einer Minute mein Leben zu verändern,
b) in 90 Sekunden meine steifen Muskeln oder den schmerzenden Nacken loszuwerden,
c) in 8 Wochen 5 km zu laufen,
d) in zwei Wochen zum Optimisten zu werden,
e) in wenigen Wochen viele Kilos abzunehmen sowie
f) in 3, 6 oder 10 Schritten schnell ein Online-Business aufzubauen
…und dabei fünfstellige Summen zu verdienen.
Ach ja, es gab und gibt meistens nur noch eine sehr begrenzte Zahl an Plätzen, Exemplaren oder Zugangsmöglichkeiten. Dafür dann aber eine lebenslange Möglichkeit, das Angebot zu nutzen. Eine schnelle Entscheidung dafür wäre also vorteilhaft?
Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass sowohl die Nachrichten über schreckliche Dinge, die in unserer näheren oder weiteren Umgebung geschehen, als auch die Erfolgsstories und die damit verbundenen Tipps und „Rezepte“ immer mehr werden?
Geschieht wirklich mehr Glück und Unglück auf der Welt? Oder könnte es auch sein, dass einfach die Art der Darstellung und Verbreitung von Informationen eine andere geworden ist?
Kommt auch hier dem Faktor Zeit eine entscheidende Rolle zu?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die ersten Emails in meinem Postfach im heimischen Rechner erschienen: Dieses legendäre und damals bereits gesprochene „Sie haben Post“.
Ich spüre förmlich noch heute die damalige Freude, ja nahezu Euphorie, wenn diese Mitteilung erklang.

Nun konnte der Kontakt, würde die Kommunikation besser, schneller und effektiver sein.
Auch im Beruf veränderte sich damit der Informationsaustausch. Die Veränderung war zuerst langsam, fast unmerklich. Und ich weiß noch sehr genau, wie oft ich darauf angewiesen war, Informationen schnell zu bekommen und nur mit Mühe nachvollziehen konnte, weshalb diese nicht umgehend zurückgesandt und geliefert wurden. Die Lesebestätigung hat mir damals geholfen. Dadurch konnte ich realisieren, wer meine Anfrage in welcher Zeit geöffnet hatte. Hier war der Zeitgewinn nur ein vermeintlicher, wenn das Gegenüber die schnelle elektronische Post erst nach einer Woche öffnete.
Heute ist dies fast undenkbar, tragen doch immer mehr Menschen ihr digitales Netzwerk permanent mit sich herum.

Wenn eingehende Nachrichten nicht durch akustische Signale markiert werden, ist ein deutliches Brummen der Vibrationseinstellungen vernehmbar. Zumindest in ruhiger Umgebung.
Und die Nervosität steigt, wenn etwas langsamer als vermutet gelesen oder beantwortet wird.
Auch die Übermittlung von Nachrichten ist mittlerweile eine permanente geworden. Wir wollen jederzeit aktuell und genau informiert sein. Wir müssen es geradezu, um mithalten zu können. Mit wem eigentlich?

Und wie wäre es, wenn wir alle nur vermuten, unser Nachbar, unsere Kollegin, unser Gegenüber wäre besser, schneller und umfassender informiert? Könnte es auch sein, dass diese Schraube sich immer stärker und schneller dreht oder von uns selbst gedreht wird, weil wir einem vermeintlichen Informationsvorsprung nachjagen? Folgen wir hier möglicherweise einem Phantom, einer angenommenen und wenig hinterfragten Größenannahme?
Obendrein: Sind wir als Spezies überhaupt dafür ausgestattet, immer schneller zu werden? Können wir immer höhere Ansprüche befriedigen und stetig mehr Informationen aufnehmen und verarbeiten?

Vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich in der Tat die Erfahrung gemacht, wie sich (m)ein Leben
a) von einer Minute auf die andere grundlegend verändert hat. Ich bin damals
b) auch sehr schnell meine steifen Muskeln losgeworden und bin – vielleicht eine andere Form von
c) zwar nicht in 8 Wochen in die Lage versetzt worden 5 km zu laufen, war aber trotz aller Widrigkeiten täglich mit Gymnastik und – wenn es ging- jeden Tag mit Radfahren auf dem Ergometer beschäftigt. Dabei habe ich
d) eine ganz andere Form von Optimismus entwickelt und
e) ganz nebenbei auch in kürzester Zeit 10 kg Gewicht verloren.
Vielleicht ahnen Sie jetzt bereits, dass es kein online-Kurs oder
f) … der schrittweise Aufbau eines online-Business‘ war,
die mir diese Erfahrungen beschert haben. Und doch hätte ich in der damaligen Situation nach vielen Strohhalmen gegriffen und wäre nahezu jeder Methode gefolgt, die mir offeriert worden wäre, wenn ich es denn gekonnt hätte.
Ich hatte einfach
g) großes Glück,
h) exzellente Ärzte,
i) an den richtigen Stellen Hilfe und Beistand und
j) eine sehr liebevolle und unterstützende Partnerschaft, die mich auch heute hält und trägt.
Warum erzähle ich das hier?
Weil die nachdrücklichste Erfahrung, nachdem ich die Leukämie überlebt hatte und versuchte, wieder in das normale Leben zurückzukehren, die unglaubliche Geschwindigkeit um mich herum war.


Es war wie
k) ein kompletter Reset meines Systems,
l) ein vollständiges Auf-Null-gesetzt-Werden,
m) ein absoluter Neustart und dann…
Dann war alles anders und so unglaublich viel schneller, als ich es kannte und erinnerte, wenn ich mich denn erinnern konnte.
Oder war ich vielleicht einfach nur sehr viel langsamer geworden?

Es ist bemerkenswert, dass meine inneren Antreiber und Kritiker selbst in den schwierigsten Situationen
n) beim Überleben helfen und gleichzeitig
o) den Neustart durch Verharren in liebgewonnenen und erprobten Mustern erschweren.

Mittlerweile hat sich der Eindruck überbordender Geschwindigkeit bereits durch einige Anpassungsanstrengungen verändert.
Schon dieses Wortungetüm löst dabei in meiner Vorstellung einigen Unmut aus.
Ja, es ist unglaublich anstrengend, die Geschwindigkeit wieder zu erhöhen. Und die Erfahrungen lassen mich an vielen Stellen die Prioritäten anders gewichten. Viele Dinge, die mir wichtig und wertvoll waren, sind in den Hintergrund getreten. Dafür haben andere deutlich an Wert gewonnen.
Eine wichtige Erkenntnis:
p) Als fraglich war, ob ich die Erkrankung und ihre Behandlung überleben würde, habe ich mehr am Leben gehangen, als in den meisten Situationen davor.
q) Und trotz aller Dinge, die es zu überstehen und auszuhalten galt, war ich unbelastet von vielen Dingen, die zuvor so bedeutsam schienen.
r) Mein Fokus hat(te) sich verändert. (weitere Gedanken zum Fokus finden Sie hier)
Was nun könnte es gewesen sein, das mich bisher erfolgreich davon abgehalten hat, auf diese umwerfend attraktiven Angebote wie eingangs unter a) bis f) aufgelistet einzugehen? Auf die Anpreisungen und Empfehlungen, die mich – die uns alle – auf diversen Wegen erreichen?
Ich erhalte
s) analoge Dialogpost,
t) digitale Newsletter,
u) Emails,
v) Posts,
w) Werbung im Radio und im Fernsehen,
x) manchmal sogar Handzettel in der Stadt oder
y) Flyer im Briefkasten an der Haustür.
Sollten Sie sich jetzt fragen, weshalb ich in diesem Text ein so elementares Thema wie eine Krebserkrankung aufgreife,
hier die Antwort:
Ich habe festgestellt, dass leichtfertige und unseriöse Angebote auch vor lebensbedeutsamen Themen leider nicht haltmachen. Und die Schar derer, die einen lukrativen Absatzmarkt genau an diesen Stellen erkennen, wird nach meiner Wahrnehmung größer.
Wie also gelingt es (mir), der Versuchung des einfachen KLICKS zu widerstehen, obwohl die in allen Farben, Formen und auf allen Kanälen blumig ausgeschmückten Ziele doch so verlockend leicht und nahezu aufwandslos erreichbar zu sein scheinen?
Wer oder was hilft mir dabei, zu sortieren und darüber gut und passend zu entscheiden?
Die schlichte Botschaft lautet:
z) (Meine) Lebenserfahrungen.